Die erste Nacht nach der Überstellung in die Heimat verbrachte Filippo T. in der Krankenabteilung des Gefängnisses von Verona, unter ständiger Beobachtung wegen vermuteter Selbstmordgefahr. Der 21 Jahre alte Student der Biomedizintechnik an der Universität Padua wird verdächtigt, am späten Abend des 11. Novembers seine 22 Jahre alte Kommilitonin und ehemalige Freundin Giulia C. mit mehreren Messerstichen in den Hals getötet und den in schwarze Müllsäcke verstauten Leichnam in eine Schlucht geworfen zu haben.
Die offenkundig richtungslose Flucht des Studenten durch Norditalien, Österreich und Deutschland endete am frühen Morgen des 19. Novembers auf der Autobahn 9 bei Bad Dürrenberg in Sachsen-Anhalt: Dort war das Tat- und Fluchtfahrzeug ohne Benzin liegen geblieben und einer Polizeistreife aufgefallen, weil der schwarze Fiat Punto unbeleuchtet auf der Standspur hielt.
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Den überraschten Polizisten gegenüber soll Filippo T. gesagt haben: „I killed my girlfriend“. Daraufhin ließ er sich festnehmen, ohne Widerstand zu leisten. Tags zuvor waren die sterblichen Überreste von Giulia C. von einem Spürhund gefunden worden. Die Fahnder hatten durch die Auswertung der Aufnahmen von Überwachungs- und Verkehrskameras den Fluchtweg vom Tatort bei Padua zu der rund hundert Kilometer entfernten Schlucht am Barcis-Sees nahe Pordenone präzise rekonstruieren können.
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Filippo T. wurde am Samstag nach Venedig geflogen
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Seiner Auslieferung nach Italien hat sich Filippo T. nicht widersetzt. Er wurde am Samstag mit einem Flugzeug der italienischen Luftwaffe vom Flughafen Halle-Leipzig nach Venedig geflogen und von dort ins Gefängnis nach Verona gefahren. Die Überstellung mit einem Linienflug war aus Sicherheitsgründen nicht infrage gekommen, weil Fotos des Mannes und seiner einstigen Freundin seit Tagen auf den Titelseiten der Zeitungen in Italien sowie im Fernsehen und im Internet verbreitet worden waren. Giulia C. hatte sich im Februar von Filippo T. getrennt, sich aber mehrfach auf dessen Drängen zu Treffen mit ihm bereit erklärt, zuletzt an jenem verhängnisvollen Samstag im November.
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Am Dienstag soll Filippo T. nun in Venedig dem Haftrichter vorgeführt werden. Nach dem Stand der bisherigen Ermittlungen lautet die Anklage auf Entführung, vorsätzliche Tötung und Verbergen eines Leichnams. Weil sich Filippo T. vor dem Treffen mit seiner ehemaligen Freundin, mit der er vor der mutmaßlichen Bluttat ein Fast-Food-Restaurant besuchte, offenbar Klebeband zum Knebeln seines Opfers sowie zwei Messer und die Müllsäcke besorgt und in seinem Auto deponiert hatte, dürfte die Anklage um das Mordmerkmal der Heimtücke erweitert werden. Im Fall eines Schuldspruchs droht ihm lebenslange Haft. Bei Verhören in Deutschland soll Filippo T. gesagt haben, er habe auf seiner Flucht mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen, es aber dann doch nicht fertiggebracht.
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Der Tag der Auslieferung von Filippo T. fiel auf den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, der seit 1981 jeweils am 25. November begangen wird. Allein in Rom kamen zu dem Anlass mehr als eine halbe Million Menschen am Circus Maximus zusammen. Kundgebungen gab es auch in zahlreichen anderen Städten. Im ganzen Land wurden rot angestrichene Bänke aufgestellt und öffentliche Gebäude rot angestrahlt.
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Der Fall bewegt das ganze Land
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Der Fall der Studentin Giulia C., die ihren Studienabschluss von der Universität Padua bei der Graduierungsfeier am vergangenen Donnerstag postum verliehen bekam, hatte seit deren Verschwinden das gesamte Land bewegt. Der Fund der Leiche der jungen Frau am 18. November war die Bestätigung des bis dahin 102. Femizids in diesem Jahr in Italien. Seither wurden vier weitere Morde an Frauen registriert. Durchschnittlich wird in Italien – ähnlich wie in Deutschland – jeden dritten Tag eine Frau ermordet, in den meisten Fällen sind die gegenwärtigen oder ehemaligen Partner die Täter. Die Zahl der Waisen, die ihre Mütter durch Gewalttaten von deren Partnern verloren haben, wird in Italien auf 2500 geschätzt.
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Die durch den Fall Giulia C. neu angestoßene Debatte über die Gewalt von Männern gegen Frauen hat auch die Politik bewegt. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die erste Frau im höchsten Regierungsamt, beklagte angesichts der Zahlen eine „Barbarei, die sich seit Jahren fortsetzt – mit Zahlen, die noch dramatischer sind als in der Vergangenheit“. Im Senat wurde im Eilverfahren und mit den Stimmen aller Fraktionen ein schon vor Wochen von der Abgeordnetenkammer verabschiedeter Gesetzentwurf angenommen, der den Schutz für gefährdete Frauen verbessern soll. „Dieses Gesetz führt Maßnahmen ein, die in vielen Fällen den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen können“, sagte Frauenministerin Eugenia Roccella. Die neuen Bestimmungen zielten darauf ab, „den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und ein schnelles und effektives Eingreifen zu ermöglichen“, sagte die Ministerin.
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Das Gesetzespaket sieht raschere einstweilige Verfügungen und eine verstärkte Überwachung von Männern vor, die sich häuslicher Gewalt schuldig gemacht haben. Einrichtungen zum Schutz von Frauen sollen ausgebaut, in Schulen soll der respektvolle Umgang mit Frauen vermittelt und für das Thema der Gewalt gegen Frauen sensibilisiert werden. Staatspräsident Sergio Mattarella teilte mit: „Dramatische Ereignisse erschüttern das Land. Eine Gesellschaft, die sich auf die Werte der Zivilisation beruft, kann weder andauernde Gewalt gegen Frauen noch ihre Ermordung ertragen. Wenn ein junges Leben genommen wird, wenn eine Person mit Worten oder Gesten gedemütigt wird – in den Familien, am Arbeitsplatz oder in der Schule –, dann kommt in diesen Gewalttaten das Scheitern einer Gesellschaft zum Vorschein, der es nicht gelingt, gleichberechtigte Beziehungen zwischen Frauen und Männern zu erreichen.“
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